Der Marathonmann Gottes!

Pater Tobias hat einen Ohrwurm. „Den ganzen Tag spielt das Radio dieses Lied rauf und runter.“ Er summt drei Töne, hat aber keine Zeit für die ganze Melodie. „So ein Duett mit einem Mann und einer Frau. Ist ja egal ... Guten Tag, gehen wir in mein Büro!“Die ganze Umgebung hält kurz den Atem an, wenn der Prämonstratenser den Raum betritt – Sekretärin, Besucher, Zimmerpflanzen. Niemand kann sich seiner Präsenz entziehen. Er wirbelt auf dem Absatz seiner Birkenstock-Sandalen herum, marschiert mit langen Schritten ins Büro der Pfarrgemeinde Herz-Jesu in Duisburg.

Ein Hauch kreatives Chaos liegt über der Nüchternheit des Zimmers. Zwischen sauber abgelegten Akten und dekorativen religiösen Symbolen prangt das quietschrosa Freudebuch eines Mädchens aus der Gemeinde, in das er noch schreiben muss. Daneben jede Menge Flyer, Zeitungsausschnitte und das frisch kopierte Kinder-Journal der Gemeinde mit einem spannenden Comic über Mose und den Todesengel in Ägypten. Hinter der Musikanlage klemmt eine CD mit dem Titel „Harmony for Body an Soul“. Pater Tobias Breer ist nicht nur der Seelsorger von Herz-Jesu. Er ist auch Kämmerer im Kloster Hamborn und Leiter des „Projekt LebensWert“. Daneben Führungskräfte-Coach, Religionslehrer, Herausgeber und Chefredakteur des Magazins „Vorsicht Kult(o)ur“ und seit fünf Jahren erfolgreicher Marathonläufer. Jeder Kilometer, den er dabei zurücklegt, ist bares Geld wert, denn sämtliche Läufe des 48-Jährigen werden von Sponsoren unterstützt. 25 waren es bisher. Allein die letzten drei brachten 10.000 Euro für das Projekt LebensWert ein, das damit bedürftige Kinder und Erwachsene in Duisburg unterstützt. „Ich will der Armut in unserer Stadt Schritt für Schritt entgegenwirken“, sagt der Pater, wirft einen Blick auf sein ständig vibrierendes Handy und entscheidet, dass er später zurückrufen wird.


„Trainer Gottes“, nennen ihn die Zeitungen, „Marathon-Pater“ oder schlicht „Der Langläufer“. Ein Ordensmann, der die 42,195 Kilometer in 3 Stunden 36 Minuten läuft, dabei noch Geld sammelt und seine Kirche proppenvoll hat mit Gläubigen, ist schon eine Schlagzeile wert. Neulich hat „Die Zeit“ ihn einen „Menschenfischer“ genannt, weil sich die Taufen und Hochzeiten in Herz-Jesu während seiner Amtszeit fast verdoppelt haben. Pater Tobias hört das gern:  „Das sagt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“ Gut 800 Gläubige kommen jedes Wochenende, um den schnellen Priester predigen zu hören. Er veranstaltet Rockgottesdienste, segnet Fahrzeuge und prozessiert am Palmsonntag mit einem als Jesus verkleideten Kommunionkind auf einem echten Esel durch den Park. „Ich will zeigen: So unverstaubt kann Kirche heute sein!“, erklärt Pater Tobias und fügt hinzu: „Man muss eben auch die Kirche viel mehr vermarkten.“ Deshalb gibt er auch noch Religionsunterricht in vier dritten Klassen, „obwohl das sehr anstrengend ist“. Aber die Kinder kennen den schlanken Ordensmann mit dem Schnauzer und den stechend blauen Augen aus der Zeitung. Als Promi gewinnt er gleich viel mehr Ohren für seinen Unterricht – und jede Menge Herzen für Jesus. Ein Drittel der Kommunionkinder bleibt hinterher in der Gemeinde aktiv, und mit den Kindern kommen die Eltern.  Bei heimischen Marathonläufen schwenken sie Transparente mit der Aufschrift „Pater, lass deine Fußsohlen qualmen!“. Und die Aufmunterung verfehlt ihr Ziel nicht: „Das gibt mir noch mal Kraft, die letzten Meter schwebend ins Ziel zu kommen“, bekennt der Ordensmann, der die frohe Botschaft quasi wie ein Lauffeuer verbreitet.

Angefangen hat er mit dem Laufen schlicht deshalb, weil er als Coach seinen Führungskräften nichts von Bewegungsmangel erzählen wollte, während er selber daran litt. Also lief er seine ersten fünf Kilometer. Mittlerweile war der Marathon-Pater bei Läufen in Marrakesch, Jerusalem, Stockholm und New York, hat einen eigenen Sportmediziner und Personal Trainer. 80 bis 100 Kilometer bringt er pro Woche hinter sich, bei schlechtem Wetter muss das Laufband im Kloster herhalten. Beim vorletzten Wettkampf in Düsseldorf überdehnte er sich ein Band durch eine schlecht sitzende Einlage im Schuh. Abbrechen wollte er nicht, sonst wären die Sponsoren-Gelder verfallen, und viele Duisburger Kinder hätten auf neue Sporttrikots und Musikinstrumente verzichten müssen. Also kämpfte er weiter und kam unter Schmerzen als 253. von 1000 Teilnehmern ins Ziel. Wenn er an die drückende Sohle denkt, rutscht ihm ein herzhaftes „Ich könnte mir zehnmal in den Hintern treten“ heraus. Auch diese Ungezwungenheit ist es, die die Menschen an Pater Tobias schätzen. Als vor einem Jahr die Rheinische Post unter dem Motto „Wer ist für unsere Stadt besonders wichtig?“ zu einem Voting aufrief, landete der Prämonstratenser auf dem zweiten Rang. „Wer weiß, wie oft meine Gemeindemitglieder da abgestimmt haben ...“, gibt er sich bescheiden. Aber er erhielt für sein soziales Engagement auch schon den Duisburger Kaisermünzenpreis 2007 und eine Ehrennadel der Bezirksvertretung Hamborn 2010.

Ob es nun krisengeplagte Manager oder überforderte Hartz-IV-Empfänger sind, die ihn aufsuchen, ob Muslime, Atheisten oder Katholiken – Pater Tobias hilft allen gleich gern. „Die Probleme der Menschen sind eigentlich nicht so unterschiedlich“, sagt er. „Am Ende geht es immer um Fragen wie: ‚Wie gehe ich mit mir selbst um?’ ‚Wie verhindere ich, dass ich mit 40 ein Burn-Out habe?’ oder ‚Was sind eigentlich meine Talente?’ Erst wenn jemand genügend Eigenkompetenz hat, kann er auch Sozialkompetenz entwickeln und Mitarbeiter führen oder einen Ausbildungsplatz finden.“

Die Kompetenzen für solche Themen stammen nicht zuletzt aus Pater Tobias’ eigener Biografie. Bevor er sich für ein Leben im Kloster entschied, war er Ausbilder bei BMW, musste selbst Menschen führen und anlernen. Seine Mutter starb, als er 15 war. Danach lebte er sechs Jahre „ohne Gott“, bevor er durch viele Gespräche mit seinem Heimatpfarrer „erst zu Gott und dann zur Kirche“ fand. Damals beschloss er – noch unter dem bürgerlichen Namen Tobias Andreas Breer – sich geistig und beruflich zu verändern.

Nach Bundeswehr und Abitur begann er ein Noviziat bei den Prämonstratensern in Hamborn, studierte Theologie, Philosophie und Psychologie und wurde 1994 zum Priester geweiht. „Mir war gleich klar, dass ich kein Weltpriester, sondern Ordensmann werden wollte“, erzählt Pater Tobias. „Wie viele andere junge Männer wollte ich nicht allein im Pfarrhaus leben, sondern von einer Gemeinschaft getragen werden.“ Wenn er jetzt nach einem langen Arbeitstag ins Kloster kommt, trinkt er mit seinen Mitbrüdern noch ein alkoholfreies Bier und hat vertraute Menschen „zum Schwatzen“. Das Durchschnittsalter der Hamborner Ordenspriester beträgt 49 Jahre – damit ist das Haus weit entfernt vom Klischee der alternden Klöster.

Der Tag von Pater Tobias beginnt pünktlich um 5.30 Uhr und endet oft erst gegen 23.30 Uhr. Sechs Stunden Schlaf, das reicht ihm. Sein Körper und sein Geist sind auf Leistung getrimmt. Wenn er Urlaub macht, rät ihm sein Arzt, ganz langsam zu entspannen, weil plötzliches Nichtstun einen Herzinfarkt auslösen könnte. Um selbst nicht in die seelischen Mühlen der Manager zu geraten, beginnt er jeden Morgen mit einer Meditation und nimmt sich mittags einige Minuten Zeit für autogenes Training.

„Erst dann fängt die zweite Halbzeit an“, scherzt er. In Extremsituationen, wenn das Handy in einem fort vibriert oder ihn etwas zur Weißglut treibt, dann kommt ihm ganz automatisch das Vaterunser in den Sinn. „Wenn Sie dieses Gebet sprechen, können Sie nicht mehr ausrasten“, sagt der Pater. „Da steckt so viel drin! Selbst Atheisten lernen das von mir.“ Aber auch ein stundenlanger Lauf ist gleichsam ein Weg zur inneren Mitte. „Da fließen die Gedanken, und der Kopf wird frei", weiß Pater Tobias. Seit kurzem hat er beim Training immer ein Diktiergerät dabei und spricht Teile seiner Biografie auf Band. Daraus soll irgendwann ein Buch entstehen. Den Titel gibt es schon: „Mein Lauf zu Gott“. Darin will Pater Tobias nicht nur seine Lebensgeschichte erzählen, sondern auch viele Fragen beantworten, die ihn einst selber quälten. Viele davon, so sagt er, hätte er mittlerweile für sich beantwortet. Andere stehen noch im Raum. Aber in einem ist er sich ganz sicher: „Ich habe in jedem Fall die Hoffnung, dass ich nach meinem Tod im Himmel weiter Marathons laufen kann!“

 Presserartikel

 

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Pater Tobias